Der Weg durchs Labyrinth

Labyrinth

Wer schon einmal ein Labyrinth durchschritten hat weiß, dass man auf dem Weg zur Mitte – dem Ziel der labyrinthischen Reise – mehrmals zurückgeführt wird bis in die äußeren Bereiche. Schon fast in der Mitte angekommen, kann es frustrierend sein, scheinbar wieder an den Anfang zurückgeführt zu werden.

Mit dem Begriff „Labyrinth“ bezeichnet man ein System von Wegen, das durch zahlreiche Richtungsänderungen gekennzeichnet ist. Dabei führen die Wege zwangsläufig zum Ziel – im Gegensatz zu einem Irrgarten bei dem das Erreichen des Ziels nicht vorgegeben ist. Labyrinthe existieren in Form von Bauwerken, Pflanzungen, Steinformationen usw. und sind in nahezu allen Kulturen zu finden.

Nach dem Mythenforscher Karl Kerény verstand man ursprünglich unter einem „Labyrinth“ einen Steinbruch mit vielen Schächten und Gängen.
Die Mythologie berichtet uns von einem Labyrinth auf der Insel Kreta, auf das diese Beschreibung zutreffen könnte. Dieses geheimnisvolle und vor allem gefährliche Labyrinth befand sich im Palast von Knossos. In seiner Mitte hauste der Minotaurus, ein Wesen halb Mensch, halb Stier. Die im Krieg besiegten Athener mussten ihm jährlich junge Männer opfern als Tribut dafür dass sie den Sohn des Königs Minos im Krieg ermordet hatten. Selbst wenn einer der Helden das Untier in der Mitte bezwungen hätte, wäre er wohl nicht lebend aus dem riesigen stockdunklen Labyrinth mit seinen Gängen und Verzweigungen herausgekommen oder wäre auf der Suche nach dem Ausgang verrückt geworden.
Eines Tages nahte der Held Theseus, der sich als Königssohn unter die Opfer gemischt hatte, um das Ungeheuer endgültig zu besiegen. Ariadne, die Tochter des König Minos, entbrannte sofort in Liebe zu ihm. Sie gab ihm ein Knäuel selbst gesponnener roter Wolle, dessen Ende Theseus am Labyrinth-Ausgang befestigte. Der „rote Faden“ wies ihm den sicheren Weg zurück, nachdem er den Minotaurus getötet hatte. Übrigens kam es nicht zu der von Theseus versprochenen Hochzeit, stattdessen fand Dionysos die allein zurückgelassene Ariadne schlafend auf der Insel Naxos.

Das Labyrinth gehört zu den ältesten Symbolen der Menschheit. Wir finden es z.B. in der Kathedrale in Chartres als Bodenmosaik genauso wie auf Keramiken, auf Münzen oder an Felswänden und zwar überall auf der Welt. In der Regel geht die Form des Labyrinths von einem Kreuz aus, um das herum mehrere Kreise gezogen werden.

Das Labyrinth als Ur-Symbol ist eine Art Spiegel für die Lebenswege des Menschen, die ja selten in einer geraden Linie vom Anfang zum Ziel führen. Immer ist es ein Auf und Ab, ein Vor und Zurück, ein vorwärts stürmen und stagnieren, das unser Leben kennzeichnet und das sich im Labyrinth wiederspiegelt. Und manchmal wartet gerade am ersehnten Ziel eine Herausforderung auf uns, die uns vorher nicht bewusst war. Das Labyrinth steht damit auch für den Zyklus „Nehmen, Erobern, auf ein Ziel zusteuern, das Ziel erreichen und den Weg zurückgehen“. Allerdings gehen wir verändert zurück, langsamer und bewusster, durch die Erfahrung ein Stück reifer geworden.

Wo immer sich die Gelegenheit ergibt, sollten wir ein Labyrinth begehen, denn sein Geheimnis erschließt sich nur durch Erfahrung. Es muss ja nicht das berühmte in der Kirche von Chartres sein, denn auch ein einfaches Steinlabyrinth ist nach denselben Gesetzen aufgebaut und kann erstaunliche Gefühle in uns auslösen.

Selbst wenn man ganz spielerisch den verschlungenen Wegen folgt, wird man spüren, dass es einen bewegt, wenn man – der Mitte schon ganz nah – wieder fast bis an den Rand herausgeführt wird

Ich erinnere mich an eine Erfahrung, die ich bei der Begehung eines Steinlabyrinths hoch oben auf einem Felsen machen konnte. Schon der steile Weg zum Labyrinth flößte mir Angst ein. Während ich durchs Labyrinth ging, konnte ich den Blick nach unten kaum riskieren ohne dass mich ein Schwindel erfasste. So setzte ich behutsam Schritt vor Schritt bis ich auf verschlungenen Wegen in der Mitte angekommen war.
In der Mitte wird es dann ganz eng, es „kommt auf den Punkt“ und erfordert ein gewisses Verharren, bevor man wieder den Weg nach außen antritt.

Kartenset „Der Garten der Seele“

Noch heute erinnere ich mich an die besondere Energie, die ich spürte. Ich konnte erleben, was C.G.Jung über die großen archetypischen Symbole gesagte hatte: wenn sie aktiviert werden – zum Beispiel wenn wir ein Labyrinth begehen – geben sie uns ihre Kraft und Energie für unser Leben. In diesem Fall bestärkt uns das Labyrinth im Vertrauen und in der Zuversicht den Weg ruhig und achtsam weiterzugehen, auch wenn das Ziel scheinbar immer wieder in die Ferne rückt. Das Labyrinth lehrt uns, nicht die Geduld zu verlieren, achtsam zu bleiben und das Ziel – die Mitte – im Auge zu behalten.

Das scheint mir gerade jetzt in dieser Zeit besonders wichtig.

Mögen diese uralten Bilder uns stärken und inspirieren auf dem Weg – und uns helfen diese Zeit nicht nur zu überstehen sondern das Wertvolle mitzunehmen, was auch darin verborgen ist!

Alles Gute – und bleiben Sie gesund!